Krone, Schmuck und Orden: Die Meisterjuweliere der Zaren
Irina Osipowa für RBTH
Wenn es um Juweliere am russischen Zarenhof geht, drängt sich schnell Carl Fabergé auf, der Schöpfer der filigran gearbeiteten Ostereier, wertvollen Zigarettenetuis und anderen Kostbarkeiten, die als Geschenke für die Zarenfamilie dienten. Doch er war nicht der einzige Meister seiner Zeit – auch andere Goldschmiedekünstler trugen den Ehrentitel des Hofjuweliers oder Hoflieferanten.
Jérémie Pauzié
Der von gleich drei Zarinnen verehrte Jérémie Pauzié erlangte Berühmtheit, als er die Zarenkrone anlässlich der Krönung von Katharina II. im Jahr 1762 anfertigte. Die Krone wanderte weiter in den Besitz aller nachfolgenden Zaren bis Nikolaus II. Die Insignie besteht aus zwei Halbkugeln – Symbole für die Verbindung zwischen Ost und West – und ist mit 4 936 indischen Brillanten (2 858 Karat) sowie 75 Perlen geschmückt. Ein großer Spinell sitzt auf der Mitte des Kronenbügels. Das Gewicht der Krone ist mit weniger als zwei Kilogramm bescheiden, hergestellt wurde sie in einer Rekordzeit von zwei Monaten.

Pauzié war ein Meister der Bearbeitung von Edelsteinen, insbesondere Diamanten – vor allem das bescherte ihm die Gunst seiner gekrönten Gönnerinnen Anna Iwanowna, Elisabeth I. und Katharina II. Unter ihrer Herrschaft funkelte der Hof im wahrsten Sinne des Wortes. In seinen Erinnerungen an das Leben in Russland bemerkte Pauzié: „Eine erstaunliche Menge an Brillanten kleiden die Damen vom Hofe" und „selbst im privaten Leben verlassen sie niemals den Hof, ohne mit wertvollem Schmuck behangen zu sein".

Den Schweizer Meister hatte es schon als Kind nach Russland verschlagen. Einer Legende zufolge gelangte er mit seinem Vater zu Fuß nach Sankt Petersburg, wohin diesen ein Verwandter, seines Zeichens Chirurg am Hof von Peter I., eingeladen hatte. Der Vater starb bald darauf, den Jungen schickte man zu dem französischen Diamantschleifer Benoît Gravereaux, der ihn in seine Kunst einführte.

Букет из драгоценных камней в вазе
1740-е годы

Im Alter von 21 Jahren eröffnete Jérémie Pauzié seine eigene Werkstatt, die in dem folgenden Vierteljahrhundert den Hof und die Aristokratie beliefern sollte. Neben den mit Diamanten bespickten Tabakdosen, Gürtelschnallen, Broschen, Orden und Haarnadeln fertigte Pauzié auch erschwinglicheren Schmuck für weniger wohlhabende Kunden an. Einen Teil der Edelsteine ersetzte er dabei durch geschliffenes Glas, das er mit einem farbigen Folienblättchen unterlegte. Dieses Verfahren wandte er so kunstvoll an, dass den Unterschied am Hof niemand bemerkte.
Das Haus Bolin
Wenn die Zarenfamilie im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ihre Großfürstinnen verheiraten und die Aussteuer sammeln wollte, bestellte sie das Tischsilber bei Fabergé und den Schmuck bei Bolin. Dieser Umstand allein bezeugt das Vertrauen zu diesem Haus und die Exklusivität der Bestellungen.

Die Bolins zählten zu den ältesten Juwelier-Dynastien. Ihren Sitz in Sankt Petersburg hatte einst der gebürtige Sachse Andrei Rempler im Jahr 1796 begründet. Er schaffte den Aufstieg zum Hofjuwelier der Kaiser Paul I. und Alexander I. Seine Schwager, der Deutsche Ernst Jan und der Schwede Karl Eduard Bolin, setzten seine Arbeit fort. Den Namen des Letzteren bewahrte die Manufaktur bis in unsere Zeit. Kurz vor der Revolution beschloss einer seiner Nachkommen, Wassili Bolin, eine Filiale im deutschen Bad Homburg, damals einem beliebten Reiseziel des europäischen Hochadels, zu eröffnen. Mit einigen Mustern und Entwürfen ausgerüstet, machte er sich auf den Weg.

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Doch dann brach der Erste Weltkrieg aus und Bolin blieb in Europa. Auf seiner Rückkehr über Stockholm wurde er mit einem schwedischen Bankier über die Gründung eines Schmuckgeschäftes einig, dessen Eröffnung der schwedische König Gustav V. beiwohnte. Ein Jahr später kündigte sich die Russische Revolution an. Die Petersburger Manufaktur schloss ihren Betrieb. Doch die schwedische Niederlassung von Bolin beliefert bis heute das schwedische Königshaus mit Schmuck.
Der Schmuck aus dem Hause Bolin war bekannt für seine erlesene und hochwertige Beschaffenheit. Als die Juweliere im Jahr 1870 erneut mit einer Auszeichnung der Allrussischen Ausstellung geehrt wurden, hieß es in der Widmung: „Für die vollkommene Reinheit der Juwelierarbeit, die kunstvolle Abstimmung der Steine und die feine Gestaltung der Muster während des langen Bestehens der Firma". Leider haben aus diesem Grund nur sehr wenige ihrer Werke die Revolutionsjahre überlebt. Die Bolschewiki machten sie ausfindig, ausgerüstet mit den beschlagnahmten Geschäftsbüchern, lösten die Steine heraus und verkauften sie einzeln. Eines der erhaltenen Schmuckstücke ist heute im Besitz der britischen Königin Elisabeth II. Das mit Brillanten und großen Perlen behangene Diadem war einst für die Großfürstin Maria Pawlowna, Gattin des jüngeren Bruders von Alexander III., angefertigt worden.

Яйцо на подставке
Конца XIX - начала XX веков
Nach der Revolution wurde es mithilfe britischer Diplomaten aus Russland geschafft. Danach erwarb es Königin Mary, die Gemahlin von Georg V. und Großmutter der heutigen Queen.
Die Manufaktur Ignatij Sasikow
Sasikow war eine der bereits Ende des 18. Jahrhunderts gegründeten russischen Manufakturen auf der Great Exhibition 1851 in London. Im Unterschied zur Firma Bolin, die dort ebenfalls erfolgreich vertreten war, repräsentierte Ignatij Sasikow einen genuin „russischen Stil". Das Atelier für Silberschmiedekunst war zunächst nur in Moskau ansässig und fertigte alle Arten von Silbergeschirr an – von kleinen Löffeln für Salz bis zu Einfassungen für Heiligenbilder und sogar Ikonostasen.
Die Werke waren von verschiedenartiger künstlerischer und materieller Beschaffenheit. Sie reichten von einfachen Gegenständen bis zu exklusiven Arbeiten für den Zarenhof und für Ausstellungen. Der bekannteste Abkömmling der Dynastie war Ignatij Sasikow, der Sohn des Firmengründers. Wegen seines außergewöhnlichen Könnens nannte man ihn auch den „russischen Benvenuto Cellini". Er war auf die Idee gekommen, die Formen alten russischen Geschirrs und bäuerliche Motive aufzugreifen, und begründete damit eine Richtung in der Juwelierkunst, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine große Verbreitung erfuhr.

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Sasikow bezog namhafte Künstler und Bildhauer in seine Arbeiten ein. So fertigte seine Manufaktur zur Trauung des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch, des jüngeren Bruders von Alexander II., ein Silberservice mit byzantinischen Verzierungen an, das Fjodor Solnzew entworfen hatte, ein Künstler und Archäologe, der für seine besondere Vertrautheit mit der altrussischen Kunst berühmt war. An der Miniaturskulptur einer Troika beteiligte er Jewgeni Lansere.
Die Geschäfte und Ateliers der Manufaktur existierten bis 1887, danach wurden sie von Iwan Chlebnikow übernommen.
Iwan Chlebnikow
Die 1871 gegründete Manufaktur für Gold-, Silber- und Diamantarbeiten von Iwan Chlebnikow hatte keine lange Tradition, wurde aber schnell berühmt und zählte zu den Lieferanten nicht nur des russischen Hofes, sondern auch der niederländischen, dänischen, montenegrinischen und serbischen Königs- und Fürstenhäuser.
Chlebnikows Werk war überwiegend vom „russischen Stil" geprägt. Ein besonderes Merkmal seiner Kunst war die Technik, im Silber die Strukturen anderer Materialien, etwa von Holz, Rinde oder gewobenen Stoffen, nachzubilden.
Die geflochtenen Körbe mit übergeworfenem Leinentuch sahen aus „wie echt". Sehr gefragt waren auch seine Emaillearbeiten. Die Schreibgarnituren, Zigarettenetuis und Tabakdosen waren mit mehrfarbigen alten Mustern überzogen.
Aus jedem Gegenstand sprach seine Fantasie – ein Salzstreuer in der Form eines Throns, Geschirr, das alte Schöpfkellen und Krüge nachbildete, Tintenfässer in Gestalt eines Bojarenhauses, ein Samowar in Form eines Hahns mit Gläsern an den Krallen.

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Sehr beliebt waren seine Schnapsgläser, die sich nur umgedreht auf den Tisch stellen ließen – im Boden waren tanzende Bauern zu sehen. Für das Dekor teurer Geschenkeartikel wurden Motive der russischen Geschichte verwendet – Szenen aus dem Leben des Heiligen Sergius von Radonesch beispielsweise oder von Iwan IV., bekannt als „der Schreckliche".
Die Manufaktur von Iwan Chlebnikow nahm zahlreiche Aufträge des Kremls an. In Chlebnikows Atelier entstanden die Ikonostasen der Mariä-Verkündigungs-Kathedrale und Kirchengeräte für die Christ-Erlöser-Kathedrale.
Die Manufaktur Pawel Owtschinnikow
Die Manufaktur war sozusagen ein Trendsetter auf dem vorrevolutionären Juweliermarkt. Ihr Gründer Pawel Owtschinnikow kam als Sohn von Leibeigenen auf die Welt und wurde wegen seines ungewöhnlichen künstlerischen Talents aus der Leibeigenschaft entlassen.
Auch er fertigte seine Arbeiten im „russischen Stil" an, doch sie zeichneten sich darüber hinaus durch einige Besonderheiten aus. Das wichtigste Verdienst des Juweliers war die Renaissance und Weiterentwicklung der Emaillekunst. Schöpfkellen und Ikonenbeschläge schmückte filigrane Emaille. Das Muster auf der Oberfläche der Gegenstände entstand durch zarte gedrehte Silberfäden, die dabei gebildeten Zellen wurden mit bunter Emaille gefüllt.
Noch komplizierter war die erstmals in Owtschinnikows Manufaktur verwendete „Glas-Emaille". Diese hatte keinen festen Untergrund – gegen das Licht gehalten sah sie aus wie das Fensterglas einer gotischen Kirche.

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Die Meister der Manufaktur verwendeten auch die alte Niellotechnik, um Motive des Kremls und der Moskauer Kirchen in die Werke einzugravieren. Einer ihrer bekanntesten Aufträge war die prächtige silberne und teilweise vergoldete Ikonostase der Mariä-Entschlafens-Kathedrale auf dem Gelände des Moskauer Kremls.
Ein weiteres wichtiges Verdienst von Owtschinnikow war die Gründung einer an seine Werkstatt angegliederte Schule, in der begabte junge Menschen fünf bis sechs Jahre lang die Gold- und Silberschmiedekunst erlernen konnten. Er war einer der ersten Unternehmer im 19. Jahrhundert, die die Bedeutung einer künstlerischen Ausbildung anerkannten.
Die Manufaktur Keibel
Diese Juwelier-Dynastie von deutschen Einwanderern etablierte sich Ende des 18. Jahrhunderts in Sankt Petersburg. Die Meister fertigten Juwelierschmuck aus Gold mit Brillantenbesatz für den Zarenhof an, unter anderem auch eine kleine Zarenkrone für die Krönung der Kaiserin Alexandra Fjodorowna, der Gemahlin von Nikolaus I. Besondere Berühmtheit erlangten ihre Ehrenzeichen und Orden, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in dieser Manufaktur entstanden.

Seit 1841 waren Wilhelm Keibel, nach ihm sein Sohn und sein Enkel die einzigen offiziellen Hersteller von Orden für das sogenannte Kapitel, die staatliche Stelle, die im zaristischen Russland für die Verleihung und Anfertigung von Orden zuständig war. Diese Aufgabe übernahm das Haus Keibel bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. Ungeachtet der strengen Vorgaben führte Wilhelm Keibel in die Gestaltung mancher Zeichen Änderungen ein. So wurden die Adler auf dem Alexander-Newski-Orden und dem Sankt-Stanislaus-Orden vor seiner Zeit mit gesenkten Flügeln dargestellt, er aber richtete sie auf wie auf den Münzen dieser Zeit.

Neben den höchsten goldenen Orden fertigte Keibel laufend Metallabzeichen an. Zur Jahrhundertwende trat ein ernst zu nehmender Konkurrent von Keibel auf den Plan, die Manufaktur Eduard. Diese wurde zum zweiten offiziellen Lieferanten des Kapitels ernannt. Um 1910 stellte Keibel seine Produktion ein.
Text von Irina Osipova
Lektorat Oleg Krasnov, Carolin Sachse
Fotoquellen: Topfoto/Vostock-Photo, RIA Nowosti, A.Suschenok/музей «Собрание», Государственный исторический музей, музей Фаберже, фирма "Монеты и Медали"
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